Text: Olivia Staub
Fotografien: Andrin Fretz & Milad Ahmadvand
Was schreibt man über einen Streik, der als die grösste politische Demonstration der neueren Geschichte bezeichnet wird?
Eine Ideensammlung:
Man könnte schreiben, warum dieser Streik nötig war. Dass Frauen* immer noch 20% weniger Lohn erhalten als Männer. Dass Frauen* nur 9% der Führungskräfte in diesem Land stellen. Dass über die Hälfte der Schweizerischen Bürgerschaft durch einen Drittel des Nationalrates und gar nur 15% des Ständerates repräsentiert wird. Dass Frauen* den Mörderanteil der unbezahlten «Care»-Arbeit leisten, für welche eigentlich der Staat aufkommen müsste. Dass «typische» Frauen*arbeit wie Kinder-Betreuung oder Pflegeberufe abgewertet werden und im Niedrig-Lohn-Sektor angesiedelt sind. Man könnte über die schiere Unmöglichkeit schreiben, als Frau* nach der Geburt eines Kindes seine Karriere weiterzutreiben. Über den Alltagssexismus, mit dem jede Frau* konfrontiert ist. Über die herzzerreissenden Zahlen von sexueller Belästigung und sexueller Gewalt, von welchen Frauen* am meisten betroffen sind. Über das unsägliche Transparent am letzten Heimspiel des FC Winterthurs. Über Altersarmut bei Frauen*, über die Pink Tax, über Forschung, die nur an und für Männer betrieben wird und die Gesundheit von Frauen* gefährdet, über die doppelte und dreifache Diskriminierung von Women* of Colour und Transfrauen, über Genitalverstümmelung, über häusliche Gewalt, über religiöse Unterdrückung, über die Unter-Repräsentation von Frauen in den Medien, über, über, über – Halt.
Von nichts von alldem soll dieser Text handeln. Nicht, dass es nicht ungemein wichtig ist, darüber zu sprechen. Die Debatte über strukturelle Diskriminierung von Frauen* muss über den Frauen*streik hinaus dauerhaft und nachhaltig geführt werden, von allen von uns. Und dann müssen Taten folgen, besser gestern als morgen.
Dieser Text soll aber davon handeln, wie Frauen* und Männer, die mit ihnen solidarisieren, für ihre Rechte kämpfen. Der 14. Juni hat es schön illustriert. Es war ein Tag, der Kraft gegeben hat. Angefangen mit den vielen Angestellten und Studierenden an der ZHAW, welche während den letzten Prüfungen in dieser Woche stolz einen Frauenstreik-Button zur Schau trugen. Mit den vielen verschiedenen Reden, Darbietungen und Workshops auf dem Kirchplatz. Mit der Gutmütigkeit der Polizei, welche das Transparent der Stadtmuur trotz fehlender Bewilligung hingen liess. Mit den Landbote-Journalistinnen, welche an diesem Tag die Arbeit niederlegten – und den Landbote-Journalisten, die sich offensichtlich Mühe gaben, Frauen* sprechen zu lassen. Mit dem OnThur- und Musikfestwochen-Frauen*-Treff vor dem Albani, wo sich Kultur-Frauen* und ihre männlichen Freunde zuprosteten: Auf mehr Frauen* hinter und auf der Bühne. Mit den Männern, die uns breitwillig die Arbeit abnahmen, damit wir an diesem Tag auf die Strasse konnten.
Und natürlich mit der Demo selbst. Rund 5’000 Menschen waren es alleine in Winterthur. Lachend, tanzend und vielleicht ein wenig beschwipst vom vorhergegangenen Prosecco-Treff zogen wir durch die Strassen. Wut – Wut war da auch, ja, natürlich. Aber wir Winti-Frauen* schafften es, lust- und liebevoll auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Schulter an Schulter durch die Stadthausstrasse, Bier in der einen, Transpi in der anderen Hand. Erhabenen Hauptes, stolz auf unsere Arbeit, unsere Weiblichkeit und unseren Zusammenhalt. Viele Männer* in den angrenzenden Kafis, Kinder auf dem Arm. Polizist*innen am Strassenrand, violette Schlaufe um den Arm. Nach der Demo beim (Soli-)Bier im Albani: Glückliche Erschöpfung, inniges In-Die-Arme-Fallen. Losgelöste Euphorie, wir fühlen uns stark und frei. So muss Kampf, denke ich mir. Danke Frauen*streik Winterthur!